Kinderrechte explizit ins Grundgesetz?

Der Berliner Kreis diskutiert

13. Februar 2020

Liebe Blog-Leserinnen und liebe Blog-Leser,

diese Woche fand im Haus der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin eine Veranstaltung des Berliner Kreises statt. Die Podiumsdiskussion, welche ich moderiert hatte, befasste sich mit der Frage, ob Kinderrechte explizit im Grundgesetz niedergeschrieben werden sollten. Dies wurde im Koalitionsvertrag erwähnt und wird zurzeit auch im Bundestag debattiert.

Der Abgeordnete Klaus-Peter Willsch eröffnete den Abend und freute sich auf eine grundsätzliche Diskussion des Themas. Dr. Matthias Höschel stimmte dem bei, wies aber bereits darauf hin, dass in gut 50 Jahren erst ca. 60-mal Änderungen am Grundgesetz vorgenommen wurden. Daher sollte man das nicht allzu leichtfertig tun.

Nachfolgend konnte ich die Experten für die Diskussion begrüßen: Prof. Dr. Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg, die Journalistin und Publizistin Birgit Kelle, Dr. Philipp B. Donath von der Goethe-Universität Frankfurt und Dr. Sebastian Sedlmayr von UNICEF Deutschland.

Dr. Sedlmayr betonte zunächst, dass Deutschland schon viel getan habe, um die Kinderrechtskonvention umzusetzen. Er halte die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz als gutes Signal, um die Rechte von Kindern ernst zu nehmen. Man müsse aber bei der Formulierung im Gesetz darauf achten, dass das Eltern-Kind-Verhältnis nicht beschädigt wird. Allerdings wäre Kindern am besten geholfen, wenn man problematische Situationen von Kindern ganz konkret im Alltag und im sogenannten „einfachen Recht“ behandelt.

Dr. Donath vertrat die Auffassung, dass man Eltern gegenüber dem Staat stärken könne, wenn man die Kinderrechte richtig formuliert und an die richtige Stelle im Grundgesetz setzen würde. Der Staat dürfe nicht mehr Befugnisse erhalten, in das Verhältnis von Eltern und Kindern einzugreifen. Es solle so bleiben wie Stand jetzt, dass der Staat nur eingreifen darf, wenn das Kindeswohl ernsthaft gefährdet ist. Außerdem seien Kinderrechte, die im Grundgesetz verankert würden, ein gutes Signal an alle, die mit dem Recht arbeiten, z.B. Richter. Es gäbe ein Problem bei der Umsetzung und Anwendung des Rechts, was explizite Kinderrechte lösen würden. Auch spare eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz Änderungen an anderen Gesetzen.

Prof. Dr. Kirchhof wies daraufhin, dass der Staat zunächst nur darauf achten soll, dass Eltern ihren Verpflichtungen gegenüber den Kindern nachkommen. Er hat also nur eine sogenannte „Wächterfunktion“. Wenn die Kinderrechte allerdings ins Grundgesetz kämen, hätte der Staat eine neue Aufgabe und mehr Einfluss auf die Erziehung von Kindern. Der Staat müsste dann nämlich jedes Grundrecht der Kinder explizit fördern. Dadurch gäbe es dann Kollisionen mit dem Elternrecht. Würde ein Kind bspw. auf eine Demonstration gehen aber die Eltern wollen, dass es die Schule besucht, könnte der Staat dann eingreifen und für das Kind und gegen die Eltern entscheiden. Dadurch würden die Rechte aber auch die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern abgeschwächt. Außerdem hätten Kinder bereits alle Grundrechte, weil die Grundrechte im Grundgesetz allgemein und für alle gelten. Es würde also keine spezifischen Kinderrechte benötigen. Viele Experten sind auch der Meinung, dass das Grundgesetz Kinder bereits sehr gut schützt.

Kelle stellte schließlich heraus, dass es eigentlich keinen dramatischen Grund in Deutschland gäbe, sich mit der Frage von Kinderrechten im Grundgesetz zu befassen. Wenn bspw. Richter die Rechte von Kindern nicht ausreichend beachten würden, dann müsste man in der Ausbildung der Richter daran arbeiten und nicht das Grundgesetz ändern. Am meisten sei Kindern deshalb geholfen, wenn man die Jugendhilfe besser ausstattet und die Ausbildung von Richtern verbessert. Sofern es Änderungen an Gesetzen brauchen sollte, müsste man diese am einfachen Recht und nicht im Grundgesetz vornehmen. Verfassungsänderungen würden an den konkreten Problemen auch nicht viel ändern. Sie vertrat außerdem auch die Meinung, dass Eltern besser als der Staat wüssten, wie sie ihre Kinder erziehen. Deshalb würde sie auch keine Verschiebung der Kompetenzen von den Eltern zum Staat wollen. Kinderrechte im Grundgesetz könnten das allerdings bewirken. Der Staat habe schon genug Befugnisse. Bspw. werden im Schnitt jährlich 50.000 Kinder aus Familien in Deutschland genommen. Außerdem sollte man erst das Recht auf Leben diskutieren, bevor man sich mit Kinderrechten im Grundgesetz befasst.

Im Anschluss an die Expertenrunde gab es noch eine angeregte Diskussion, an der sich alle Gäste im Publikum beteiligen konnten. Im Ergebnis bin auch ich der Meinung, dass Kinderrechte nicht ins Grundgesetz gehören. Eltern sollen vorrangig für ihre Kinder verantwortlich bleiben und nicht der Staat. Kinderrechte im Grundgesetz könnten dem Staat aber mehr Befugnisse zusprechen und würden darüber hinaus auch nichts an konkreten Problemen von Kindern ändern. Dafür muss man bspw. die Jugendämter besser unterstützen. Viele Experten befürworten diese Position auch in der Öffentlichkeit. Zudem hat die kürzlich veröffentlichte „Shell-Jugendstudie“ herausgefunden, dass Familie und Beziehungen für die Lebensführung der Jugendlichen weiterhin das Wichtigste sind. Familie stellt einen „sicheren Heimathafen“ dar, der jungen Menschen Halt und Unterstützung gibt. Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen bilden nach wie vor gute Freunde (97 Prozent), eine vertrauensvolle Partnerschaft (94 Prozent) und ein gutes Familienleben (90 Prozent) die wichtigsten Werte. Wir sollten also an dem Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern nichts ändern, da die Jugendlichen damit sehr zufrieden sind.

Herzlichst

Ihre Sylvia Pantel