Verfassungsreform in der Türkei: Europarat hat bedenken

Experten warnen vor „Ein-Personen-Regime“ und „gefährlichen Rückschlag“ für die Demokratie

Berlin, 28. März 2017

Liebe Blog-Leserinnen und liebe Blog-Leser,

die allgemeinen Bedenken zur angestrebten Verfassungsänderung in der Türkei werden von den Verfassungsexperten des Europarates, der sogenannten Venedig-Kommission, mehr als bestätigt. Das vom türkischen Präsidenten Erdogan forcierte Referendum gebietet schwerwiegende Kritikpunkte auf verschiedenen Ebenen:

Schon das Verfahren selbst wird von der Venedig-Kommission bemängelt: So hätten sich bereits zum Zeitpunkt der parlamentarischen Abstimmungen über die Verfassungsänderung, die im Januar den Weg für die Volksabstimmung freimachte, mehrere Abgeordnete der oppositionellen HDP in Haft befunden. Zudem lasse die Verletzung des Wahlgeheimnisses bei dieser Abstimmung Zweifel daran aufkommen, ob die Abstimmung frei gewesen sei.

Überdies fänden sowohl die Parlamentsabstimmung wie auch das Referendum unter Geltung eines Notstandsrechts statt, das umfangreiche Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vorsehe. Eine umfassende gesellschaftliche Debatte über die vorgeschlagenen Änderungen könne auch angesichts der gegenwärtigen Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit kaum stattfinden.

Inhaltlich weist der Bericht der Kommission auf die Gefahr hin, dass die Verfassungsänderung durch den Abbau des Systems der „Checks and Balances“ (Überprüfung und Ausgleich) nicht mehr dem Modell eines demokratischen Präsidialsystems entspreche, welches auf Gewaltentrennung basiere. Vielmehr bestünde das Risiko eines autoritären Präsidialsystems.

Bedenken äußert das Gutachten besonders in folgenden Punkten:

  • alleinige Ausübung der exekutiven Gewalt durch den neuen Präsidenten, mit nicht kontrollierter Befugnis zur Ernennung und Entlassung von Ministern und hohen Beamten
  • Möglichkeit, dass der Präsident auch Mitglied oder gar Vorsitzender einer Partei ist, wodurch er einen unzulässigen Einfluss auf die Gesetzgebung erhält;
  • Befugnis des Präsidenten, aus einem beliebigen Grund das Parlament aufzulösen, was grundsätzlich unvereinbar mit einem demokratischen Präsidialsystem ist;
  • weitere Schwächung der bereits unzureichenden Möglichkeiten, die der Justiz zur Kontrolle der Exekutive zur Verfügung stehen;
  • weitere Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz.

Zusammengefasst warnen die Verfassungsexperten des Europarates mit ihrer Stellungnahme vor einem „Ein-Personen-Regime“ in der Türkei und damit einem „gefährlichen Rückschlag“ für die Demokratie. Ich hoffe, dass die Türken, die hier in Deutschland leben und ihre Meinung frei äußern können, sich nicht daran beteiligen, ihren Landsleuten das in der Türkei zu verwehren. Das Düsseldorfer Generalkonsulat ist einer von deutschlandweit insgesamt 13 Standorten, an denen sich die Türken an dem Referendum zur Verfassungsänderung in der Türkei beteiligen können.

Herzlichst

Ihre Sylvia Pantel